Viele Steuerkanzleien sind der Überzeugung, bereits gut digitalisiert zu sein, insbesondere weil sie ihren Mandanten DATEV Unternehmen online zur Verfügung stellen. Doch ein genauerer Blick auf die Effizienz in der Finanzbuchhaltung verrät oft ein anderes Bild. Dieser Blogbeitrag beleuchtet, warum die bloße digitale Belegübermittlung nicht ausreicht und welche strategischen Schritte Kanzleien jetzt unternehmen können, um wirklich zukunftsfähig zu werden.
Der Trugschluss der digitalen Buchhaltung
Eine zentrale Kennzahl, die Buchungssätze pro Stunde, offenbart die Realität vieler Kanzleien. Selbst mit einer hohen Umstellungsquote auf DATEV Unternehmen online erreichen viele Kanzleien lediglich 70 bis 80 Buchungssätze pro Stunde – ein Wert, der kaum über dem Niveau der traditionellen Papier-Buchhaltung liegt. Die DATEV selbst hat Zahlen veröffentlicht, die zeigen, dass DATEV Unternehmen Online mit nur 80 Buchungssätzen pro Stunde kaum vor der Papierbuchhaltung liegt. Wenn Mandanten weiterhin Pendelordner liefern und Belege in der Kanzlei gescannt werden, gibt es praktisch keine Zeitersparnis.
Wirkliche Digitalisierung bedeutet nicht, Belege digital zu empfangen, sondern strukturierte Rechnungsdaten automatisiert zu verarbeiten. Die entscheidende Stellschraube liegt in der Art des Datenflusses, nicht im Übertragungsweg.
Schnittstellen als strategischer Hebel für medienbruchfreie Prozesse
Um medienbruchfreie Prozesse zu gestalten, müssen Kanzleien bei den Vorsystemen der Mandanten ansetzen und den gesamten Weg bis ins Kanzleisystem über Schnittstellen steuern. Genau hier öffnet sich aktuell ein wichtiges Zeitfenster: die verpflichtende Einführung der elektronischen Rechnung im B2B-Bereich ab 2025 (Empfangspflicht) und schrittweise ab 2027/2028 (Ausstellungspflicht). Diese Entwicklung zwingt nahezu alle Mandanten, in geeignete Softwarelösungen zu investieren – eine Chance für Steuerberater, aktiv zu werden.
Die gute Nachricht: Kanzleien müssen keine eigenen Schnittstellen entwickeln. Die DATEV hat mit ihrer Ökosystemstrategie einen Wandel vollzogen und bietet zahlreiche standardisierte Programmschnittstellen (APIs) an, die eine direkte und medienbruchfreie Anbindung von Mandantenlösungen ermöglichen. Auch andere Anbieter wie ADDISON stellen mit SmartConnect vergleichbare Konzepte bereit.
Für Kanzleien ist es entscheidend, zu verstehen:
• Welche Vorsysteme beim Mandanten im Einsatz sind.
• Ob diese eine Standardschnittstelle zur Kanzleisoftware besitzen.
• Wie die Anbindung idealerweise mit einem strukturierten Prozess umgesetzt werden kann.
Der Nutzen ist klar: Schnittstellen sorgen für kontinuierliche Datenflüsse statt monatlicher Belegübermittlung, wodurch strukturierte Buchungsinformationen regelmäßig, vollständig und maschinenlesbar ins Kanzleisystem gelangen.
Die Transformation der Kanzlei: Vom Belegerfasser zum Integrator
Diese Entwicklungen verändern die Rolle der Kanzlei grundlegend: vom Belegerfasser zum Integrator. Kanzleien, die diesen Wandel annehmen, schaffen nicht nur Effizienz, sondern echten Beratungsmehrwert.
Wenn Mandanten noch keine spezialisierte Software nutzen – was besonders bei kleineren Unternehmen häufig der Fall ist – entsteht für Kanzleien die Chance zur gezielten Empfehlung. Bei der Auswahl der passenden Vorsysteme sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:
• Schnittstellenfähigkeit (z. B. Programmschnittstellen wie DATEV Datenservices oder ADDISON SmartConnect).
• GoBD-Konformität (Archivierung, Änderungsprotokolle, Nutzerrechte).
• Benutzerfreundlichkeit (gerade für kleine Mandanten mit wenig IT-Affinität).
• Branchenspezifik (z. B. Kassensysteme, Shopanbindung).
• Kosten (für eine wirtschaftliche Umsetzung, besonders bei kleinen Unternehmen).
Praktische Tools, die empfohlen werden können, umfassen Lösungen für automatische Belegsammlung (z.B. Invoicefetcher, GetMyInvoices), Rechnungssoftware (lexoffice, easybill), Eingangsrechnungsverarbeitung (Candis, DATEV Unternehmen Online), Ausgabenmanagement (Pleo, Circula), Reisemanagement (Lanes & Planes), Fahrtenbücher (Vimcar) und FinTechs (Finom, Qonto). Die E-Rechnungspflicht bietet hier ein ideales Zeitfenster, um Mandanten direkt in Lösungen zu investieren, die medienbruchfrei mit der Kanzlei kommunizieren.
KI in der Buchhaltung: Vom Vorschlag bis zum Dialog
Neben Schnittstellen revolutioniert Künstliche Intelligenz (KI) die Art und Weise, wie Buchhaltungsdaten verarbeitet und interpretiert werden. KI ist längst keine Zukunftsmusik mehr:
• DATEV integriert mit dem Automatisierungsservice Rechnungen (ASR) und dem Automatisierungsservice Bank (ASB) lernende Systeme, die Inhalte analysieren, Muster erkennen und Buchungsvorschläge generieren – direkt im Hintergrund des Kanzleisystems. Diese KI erkennt nicht nur Texte, sondern verarbeitet tatsächliche Buchungskontexte, was Fehler reduziert und die Effizienz steigert. Der ASR erreicht Spitzenwerte von bis zu 110 Buchungssätzen pro Stunde.
• Spezialisierte Anbieter wie Finmatics, buchhalter.pro und Tabular bieten Plattformen, die Belegtypen automatisch erkennen, Buchungsvorschläge oder ganze Buchungssätze generieren und sich durch Training stetig verbessern.
• Ein weiterer Schritt ist die Dialogfähigkeit von KI. Start-ups wie Countful mit ihrer KI-Assistenz Tess verstehen sich als „erste KI-Buchhalterin für DATEV-Steuerkanzleien“. Die Software erstellt nicht nur Buchungssätze, sondern kommuniziert bei Bedarf auch direkt mit dem Mandanten, zum Beispiel bei fehlenden Belegen.
Diese Entwicklungen zeigen, dass Buchhaltung nicht länger ausschließlich von Menschen durchgeführt werden muss. Routinetätigkeiten wandern zunehmend in intelligente Systeme.
Marktbeobachtung und Ausblick: Jetzt die Weichen stellen
Der Markt rund um die digitale Buchhaltung ist in Bewegung. Buchhaltungsfunktionen verlagern sich zunehmend: in die Systeme der Mandantschaft, in vorgelagerte Spezialsoftware oder in KI-Funktionen innerhalb der bestehenden Kanzleisoftware. Dies bedeutet eine schrittweise Erosion der klassischen Buchhaltung und damit eines zentralen Geschäftsfeldes vieler Steuerkanzleien.
Was bleibt, ist nicht die operative Verarbeitung von Belegen, sondern die übergeordnete Verantwortung für stabile, nachvollziehbare und automatisiert ablaufende Prozesse. Die Rolle der Kanzlei wandelt sich: Vom Erfassungsdienstleister zum Gestalter digitaler Datenflüsse.
Die Digitalisierung der Finanzbuchhaltung ist keine Tool-Frage, sondern eine strategische Neuausrichtung. Sie bedeutet die automatisierte Verarbeitung strukturierter Rechnungsdaten, medienbruchfreie Datenflüsse und KI-gestützte Systeme. Kanzleien, die diesen Wandel gestalten wollen, sollten jetzt handeln:
• Gezielt Beratungsangebote zu Tools, Schnittstellen und Verfahrensdokumentation aufbauen.
• Ihre Mitarbeiter im Umgang mit Datenvalidierung, Automatisierung und Systemverständnis weiterentwickeln.
• Verantwortung für durchgängige Prozesse übernehmen.
Nutzen Sie die aktuelle Situation, um neue Rollen zu definieren, innovative Leistungen zu entwickeln und Ihre Mandanten zukunftssicher zu begleiten.